Meine Meinung zum Thema Pensionen
- Bernhard Höfler
- 16. Juni
- 3 Min. Lesezeit
Pension mit 70? Warum dieser Vorschlag gefährlich, ungerecht – und sachlich
unbegründet ist
Es gibt Debatten, die kommen mit trauriger Regelmäßigkeit. Die Forderung nach einer
Anhebung des gesetzlichen Pensionsantrittsalters gehört dazu – und sie wird meist
von jenen geführt, die körperliche Arbeit nur aus der Theorie kennen. Jüngster Anlass:
Der Präsident der Industriellenvereinigung, Georg Knill, erklärte in der ZIB2
sinngemäß, Österreich könne „gerne Richtung 70 gehen“.
Ich sage: Nein, wir können eben nicht. Denn wer so etwas fordert, ignoriert nicht nur
die Fakten, sondern vor allem die Lebensrealitäten hunderttausender arbeitender
Menschen in diesem Land.
Viele schaffen es heute schon nicht bis 65
Rund ein Viertel aller Menschen in Österreich geht nicht direkt aus einem Job, sondern
aus dem Krankenstand oder der Arbeitslosigkeit in Pension. Nicht, weil sie faul wären,
sondern weil sie nicht mehr können. Wer mit 15 in die Lehre geht, Jahrzehnte in der
Pflege, am Bau oder in der Produktion arbeitet, der ist mit 60 häufig körperlich und
psychisch erschöpft.
Die Vorstellung, solche Menschen müssten künftig bis 70 durchhalten, ist realitätsfern,
unsozial – und letztlich zynisch. Es geht nicht um einzelne fitte Ausnahmen in
Managerbüros, sondern um das große Ganze. Und das große Ganze sieht in vielen
Branchen ganz anders aus.
Das Pensionssystem ist stabil – und wird überwiegend von Arbeitnehmer:innen getragen
Oft wird Panik verbreitet: Das Pensionssystem sei „nicht finanzierbar“, ohne eine
Anhebung des Antrittsalters. Doch diese Behauptung ist sachlich nicht haltbar. Unser
österreichisches Umlagesystem ist stabil und leistungsfähig. Arbeitnehmer:innen
finanzieren ihre Pensionen überwiegend selbst: 10,25 % des Bruttogehalts fließen
monatlich als Beitrag zur Pensionsversicherung, Arbeitgeber zahlen 12,55 %.
Die entscheidende Frage ist also nicht, ob die Menschen genug beitragen – sie tun es.
Was hingegen oft verschwiegen wird: Der Staat muss bei den Pensionen der
Selbstständigen und vor allem bei jenen der Landwirt:innen deutlich stärker
zuschießen als bei ASVG-Versicherten. Bei Letzteren ist der Zuschuss pro Kopf
vergleichsweise gering.
Mit anderen Worten: Jene, die am lautesten nach einer Erhöhung des
Antrittsalters rufen, tragen oft weniger bei – profitieren aber
überdurchschnittlich vom System. Das ist weder fair noch nachhaltig.
Es geht nicht ums Können, sondern ums Wollen
Und damit sind wir beim Kern der Debatte. Es geht hier nicht darum, ob wir uns ein
staatliches Pensionssystem für alle leisten können – das können wir.
Es geht ausschließlich darum, ob wir es uns als Gesellschaft leisten wollen.
Wollen wir ein System, das Menschen nach einem langen Arbeitsleben soziale
Sicherheit bietet? Oder eines, das immer neue Belastungen auf ihre Schultern lädt,
während große Vermögen und Konzerne geschont werden?
Die wahre Aufgabe: Arbeitsbedingungen verbessern statt das Pensionsalter
erhöhen
Wer das faktische Pensionsantrittsalter – das übrigens ohnehin steigt – noch weiter
anheben will, muss zuerst einmal dort ansetzen, wo es wirklich hakt:
• Nur rund 30 % der Unternehmen beschäftigen heute überhaupt Menschen
über 60.
• Ältere Beschäftigte werden in vielen Betrieben nicht gehalten, sondern
aussortiert.
• Die Arbeitsbedingungen sind oft nicht altersgerecht, weder physisch noch
psychisch.
Wer Menschen ernsthaft länger im Erwerbsleben halten will, muss ihre Arbeit gesund
und machbar gestalten: mit ergonomischen Arbeitsplätzen, besseren Arbeitszeiten,
Weiterbildung und echter Wertschätzung für Erfahrung.
Freiwilligkeit statt Zwang
Ich habe überhaupt nichts gegen Menschen, die mit 66, 68 oder sogar 70 noch gerne
arbeiten – das ist ihre freie Entscheidung. Was ich ablehne, ist ein gesetzlicher Zwang,
der alle betrifft – auch jene, die nicht mehr können. Das ist weder gerecht noch
solidarisch.
Ein staatliches Pensionssystem ist kein Gnadenakt, sondern ein zivilisatorisches
Versprechen: Wer ein Leben lang arbeitet, soll im Alter in Würde leben können. Und
das nicht erst mit 70, sondern zu einem Zeitpunkt, der den Lebensrealitäten gerecht
wird.
Fazit:
Ein gutes System braucht politischen Rückhalt – nicht Panikmache
Unser Pensionssystem funktioniert – weil es auf Solidarität basiert. Es verdient
politische Rückendeckung, keine ideologisch motivierten Forderungen, die einzig dazu
dienen, sozialen Rückhalt auszuhöhlen und Kapitalinteressen zu stärken.
Die Menschen in Österreich haben sich ihre Pension verdient –
nicht nur finanziell, sondern auch menschlich.
Comentarios